Neulich war mal wieder kein Klopapier da.

    Natürlich tritt dieser Zustand nicht oft auf - glaube ich zumindest, denn - nun ja - ich benötige nur einmal pro Tag Klopapier.

    Also ... ich hätte freilich zum Vorratsbehälter der Abstellkammer gehen können, eine neue Rolle einlegen; aber : ist das nicht schrecklich unkollegial und kurzsichtig ?

    Eskalation war angesagt und folglich brachte ich den Punkt in unserem Weekly Meeting auf die Agenda.

    Wir sind übrigens fünf Mitarbeiter in der Gruppe, gehören einem global operierenden Konzern an und stellen Glasflaschen mit Schliffstopfen her. Weltweit beschäftigt die GS (Glasflaschen mit Schliffstopfen) 335 Mitarbeiter in Deutschland daneben weitere hauptsächlich in Saudi-Arabien (wegen dem Sand) und Italien (Hauptsitz). Mit einem Umsatz von über 450 Milliarden Lira liegen wir um 27% vor dem weltweiten Marktführer.

    Mein Chef griff den Punkt auf noch vor der Frage über die fehlenden Billings und stellte konsequent die 5W Fragen :

  1. Wer ist betroffen - also außer mir ?
  2. Wann wurden die Beobachtungen gemacht - morgen, mittags, abends ?
  3. Wo passierte es zum ersten mal ... 
    ... wollte mein Boss fragen, beantwortete sich die Frage jedoch selbst, wie mir sein Gesichtsausdruck verriet.
  4. Was genau fehlt ?
  5. Weil genau ?

    Meine Antwort hierzu fiel recht stümperhaft aus, da ich weder Material, Farbe, Oberflächenrauhigkeit geschweige den Markennamen kannte. Der Kollege aus finanze witzelte etwas von ... 'oberflächlich und nicht bei der Sache wie immer' oder so ähnlich; ich ließ mich jedenfalls nicht provozieren.

    Das Ende vom Lied war : jeder hatte das Problem in ähnlicher Weise, ich bekam die Initiativstrafe und sollte die Einladung organisieren: Kickoff Meeting zur Festlegung der Leute, die organisieren können und die etwas von der Materie verstehen - um es mal so auszudrücken.

    Gleichfalls sollte, da es jeden betreffen konnte, ein repräsentativer Gesellschaftsquerschnitt die Gruppe bilden. Leider gibt es nicht so üppig Frauen in unserem Laden - ich sagte üppig Frauen und nicht üppige Frauen, so dass wir mit einer mit Frauenbeauftragten auskommen mussten. Das wurde dann Hiltrud Kuller - diese dumme Zicke mit den Haaren auf den Zähnen und wer weiß, wo noch überall. Also nichts gegen Lesben, aber von der will kein Schwanz etwas wissen.

    Mit zur Gruppe gehörten: 

finanze Kurt Kratz unangenehm; holt aber überall noch etwas raus, wenn andere bereits kleinbeigeben
distribuzione Gesine Glanz wir brauchten jemand, der die Ergebnisse gut darstellt
sviluppe Nils L. Prim ihm fehlt der Biss, aber vielleicht hatte er gute Ideen
ufficion del personale G. Schmier Entgegen seinem Namen ein lieber Kollege, der es jedem recht gut macht - erzählt man sich so
acquisto Josef Kravicz sehr gerissenhaft - besonders, wenn ... na ich will nicht schlecht reden
logistica Hiltrud Kuller die - aber das erwähnte ich ja bereits

    Die produzione war durch mich vertreten - mein Name ist übrigens Fritz Müller. Eigentlich genug Leute, um das Projekt lange genug hinzuziehen. Mit auf die Einladung musste natürlich noch der Projektsponsor - mein Chef: Helmut Schmidt (nein, nicht der Schmidt). Nicht zu vergessen cc: (Carbon Copy) unsere amministrazione in Mailand.

    Gemeinsam sollte wir Proposals ausarbeiten, analoge Fälle aus dem Unternehmen global suchen. Natürlich musste ein sprechender Name für das Projekt her. Nach langem hin und her einigten wir uns im dritten Meeting auf Toilet Quantity Maintenance. Ich greife hier etwas vor; nicht dass Sie sich wundern: die amministrazione vertrat die Auffassung, qualità muss dabei sein. Der Einwurf unseres Qualitätsbeauftragten Franz Wonz, TQM habe eine völlige andere Bedeutung, wurde verworfen; und schließlich ist er erst ein Jahr in der Firma. 

    Der Neue hatte noch ungeschliffene Dynamik - die sollte er auch bekommen: Gleich im zweiten Meeting wurde dem Rest der Gruppe klar, dass Franz in Personalunion strukturierendes Element und Horchrohr der Führung war. Als alte Hasen - ich meine den Rest der Gruppe - kamen wir stillschweigend, dafür um so gnadenloser überein, dass wir uns um ISO 9001:2000 nicht drücken konnten. Zumal dieser Punkt ein weites Feld der erweiterten Disklusion eröffnete.

    Um dem Neuen nicht die Illusion zu nehmen, streuten wir im weiteren Verlauf des Gespräches das Phantom der ISO Zertifizierung ein, worauf er auch prompt ansprangt. Bis auf Hiltrud stellten sich alle dumm (sie brauchte das nicht) und fragten, ob jemand nicht entsprechenden Background besaß. Und er sprang an; faselte etwas von: 'im Studium gelernt', da schnappte die Falle zu. Franz bekam die ehrenvolle Aufgabe die ISO Dokumentation anzufertigen; und wir hatten Ruhe vor ihm.

    An dieser Stelle komme ich zurück auf das zweite Meeting: Scope und Nonscope mussten festgelegt werden.
- Scope gestaltete sich einfach (ca. 30min): Supply Chain des Klopapiers; von Planung, acquisto, Verbrauch, qualità bis hin zur Entsorgung ...  der ingegnere del ambiente musste eingebunden werden.
- Nonscope löste Verblüffung als auch Kontroverse aus. Nicht zum Scope gehören sonstige Hygieneartikel.
- Verblüffung, da kaum eine/r verstand, warum wir uns darüber unterhalten sollte, wenn es nicht zum Thema Klopapier gehörte;
- Kontroverse, weil die Frauen insbesondere Hiltrud darauf bestanden den scope auf Damenhygieneartikel auszudehnen.
Wir einigten uns nach 3 Stunden darauf nach erfolgreichem Abschluss des Projektes, ein Neues mit dem Inhalt von Damenhygieneartikeln aufzusetzen.

    Das 3. Meeting verlief etwas lustlos; und bis auf die Fixierung des Projektnamens und den Highlights der diesjährigen Hochsommerreiseziele kam nichts dabei heraus und so beendeten wir das Zusammenkunft vorzeitig nach 2 Stunden bzw. vertagten uns um 4 Wochen. Allerdings fiel das 4. Meeting kläglich ins Wasser, da bis auf Hiltrud und mir keiner nach dem Urlaub Zeit fand. Überdies griff Hiltrud den Nonscope auf ("Nein! Bitte nicht!") und ... ach ja, ich hatte plötzlich auch ein date. Zum ersten mal zweifelte ich am Durchhaltevermögen der Teilnehmer. Eine Eskalation mit Einladung zum 5. Meeting und bcc: (Blind Carbon Copy) zu allen Chefs der Mitglieder bewirkte Wunder: es versammelten sich alle komplett.

    Um keine Vorfreude bei Franz aufkommen zu lassen, beharrte ich darauf, von ihm ein commitment zu erhalten, bis wann er mit ISO fertig sei. Ein bisschen zu nassforsch erwiderte er, dass es ihm unmöglich sei Prozesse, zu beschreiben, die noch nicht mal ansatzweise durchdacht waren. Ich blieb jedoch hart und vertagte dieses issue auf später.

    Unser eigentliches goal aufgreifend, wiederholte ich die Thematik und erwartete dann Lösungsansätze. Nils enttäuschte nicht und schlug vor, Gustav von der ufficion del personale eine Mitarbeiterliste besorgen zu lassen, die wir auswerten und mit der Teilprobleme weiter adressiert werden konnten. Klasse - nichts wäre uneffektiver als nicht delegieren zu können. 

    Das führte uns gleich auf die nächste Problematik: Führen der Statistik und einziger Tagesordnungspunkt der folgenden Sitzung. Wir vereinbarten auf Basis der Personalliste eine Statistik über den Zeitraum von zwei Monaten zu führen: geschlechtsspezifisch, häufigkeitsgeklustert nach Ausscheidung und Abteilung. Damit würden wir Umlageschlüssel, Tagesverbrauch, Kanbanbevorratung in der Toilette bekommen. Um die Abteilung zu erhalten, stellten wir je WC einen Posten auf, der die Abteilung notierte, was unverzüglich den Betriebsrat auf den Plan rief. 

    Die Einteilung nach Ausscheidung erwies sich als unmöglich. Jedoch Nils - ich wusste es - ließ eine vollautomatische Toilettensitztemperatursensorzähleinrichtung mit Spültriggerkopplung installieren. Hiltrud warf ein, dass somit die PP Becken unberücksichtigt blieben; Gesine überzeugte sie jedoch, dass hierbei kein Klopapier verbraucht würde. Weshalb hatte sie derart detaillierten Einblick ... sollte sie vielleicht eventuell oder äh... Ihr folgender CIP Vorschlag die PP Becken zu deinstallieren, wurde versuchshalber an allen Männertoiletten durchgeführt und trieb augenblicklich den Durchsatz von Klopapier um 5% und an Reinigungsmitteln um 25% in die Höhe. In der darauf folgenden Nacht schraubte unser Facility Management die Becken wieder an.

    Nach unserem 6. Meeting präsentierte Gesine unsere charts der eingeladenen Managern, die nach fünfmonatigem Warten nervös wurden, da die deadline immer schneller in die Nähe kam.

      Klein Groß Unpässlich pro MA TutoCompletto
Männer 72% 241 3*33%*10%*5 Bl .= 0.5 Bl 40%*5Bl = 2Bl - 2.5 Bl 602.5 Bl
Frauen 23% 77 3*100%*10Bl = 30 Bl 40%*10Bl = 4Bl 25%*20Bl= 5 Bl 39 Bl 3003 Bl
Krank 5% 17 - -   0 Bl 0 Bl
            41.4 Bl 3603 Bl

    Die 335 Mitarbeiter teilen sich in 23% Frauen, 72% Männer, der Rest war krank. Zugrunde gelegt wurden kleine Geschäfte: 3x pro Tag: Männer nur zu 33% sitzend, jedoch dabei nur 10% Papier benutzend bei einem Gebrauch von 5 Blatt; Frauen zu 100% sitzend und verbrauchend bei einem Gebrauch von 10 Blatt. Große Geschäfte wurden geschlechtsirrelevant zu 40% verrichtet mit 5 Blatt bei Männern und 10 Blatt bei Frauen. Unpässlichkeiten veranschlagten wir mit 25% à jeweils 20 Blatt. Summa summarum lagen wir so bei 3603 Blatt pro Tag also 14,5 Rollen Klopapier pro Tag. Das sind 432 Rollen im Monat und 3170 Rollen im Jahr; übereinandergestapelt ergibt das einen Turm von 317 m und abgerollt 110km.

    Das Management blieb erstaunlich ruhig angesichts dieser doch bahnbrechenden Untersuchungen. Zu ruhig und die Frage, wie viel können wir im kommenden Jahr einsparen, ließ mich stutzen. Insbesondere der Nachsatz: es müssten 200 Millionen Lira eingespart werden, verursachte mir Magengrummeln, denn die Summe stellte das 10fache unserer Klopapierausgaben dar.

    Unsere in der Zwischenzeit vor den Toilette platzierten Klopapierspendenbehälter bescherten uns ausreichende Reserven und ich muss nicht mehr zu Hause aufs Klo gehen.
    Aber egal : seit die Aktien gefallen sind und wir Umsatzverluste in 2stelliger Millionenhöhe haben, denkt das Management über Headcountreduction nach und wir können enorm Klopapierkosten sparen.

Nachtrag:
Neulich wurde ein Neuer eingestellt. Warum, weiß eigentlich keiner genau, aber ich bin sicher, es gibt einen Zusammenhang zwischen einem Mitglied der Geschäftsführung und Mario de Monti. Oder ist er ein Spion der amministrazione oder vielleicht ruma de patrouille ?
Wie dem auch sei, die einzige Aufgabe, die wir ihm bisher aufgetragen haben, ist die kontinuierliche Verbesserung des Klopapierprozesses.
Und - seit gestern teilen sich zwei Toiletten eine Rolle Klopapier. Sie verstehen?
Er ließ eine Durchreiche mit Klopapierhalter zwischen 2 WCs anbringen. Verdammt!
Warum sind wir darauf nicht vorher gekommen ? Ich werde das weiter beobachten.

2. Nachtrag:
Der Neue ist krass drauf und er soll dieselbe - oder auch die gleiche, ich hasse diese neue Rechtschreibung - postalische Anschrift wie Herr de Monti haben.
Es kommt eins zum anderen. Müssen uns ein wenig in acht nehmen. Besonders Birgit Lasranje geb. Blasmann, die jetzt nur noch leichte Bürotätigkeiten verrichten kann. Hat sich ein Karpaltunnelsyndrom vom Spielen an der Maus zugezogen. Die nimmt immer den Mund so voll und bringt uns damit und ihrem Anbaggern des Chefzöglings in Teufels Küche.
Da kommt doch letztens der Neue - heißt übrigens Guiseppe - auf die Idee, die Blätter des Klopapiers fortlaufend zu nummerieren, um so besser den Verbraucht zu fakturieren. Können Sie mir folgen ? Da sitzen wir nach Feierabend und malen Zahlen auf das Papier - also Kacken nach Zahlen. Mit der Zeit funktioniert das mit dem kleinen Faserstiften gut - die großen Eddings rubbelten vorschnell durch das Hygienetuch. 
Ein Spaßvogel aus der contabilità schlug vor, einen Preis bei Vorlage des 10000. benutzten Blattes zu vergeben. 

Für Uneingeweihte hier die italienischen Fachbegriffe

Buchhaltung         contabilità
Einkauf                acquisto
Entwicklung         sviluppe
Fertigung              produzione
Finanz                  finanze
Geschäftsleitung amministrazione
Logistik                 logistica
Personal                ufficion del personale
Präsident              presidente
Qualität                qualità
Umweltingenieur ingegnere del ambiente
Vertrieb                distribuzione

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