Der kleine Chemiker
von Unterstudienrat Karl Bon

Ist es nicht so ? Haben Sie es nicht auch schon erlebt ? Da bringt der Opa einen alten Benzinkanister voll schwarzer Flüssigkeit, die Uroma (nicht Aroma) erscheint mit weißem Pulver, der Nachbar gibt Ihnen eine Colaflasche ohne Aufschrift und blauer Flüssigkeit. Und ein guter Freund kommt mit einer braunen, klumpigen Masse, die er selbst auch von einem guten Bekannten erhielt und die gar nicht brennen will.

Alle möchten von Ihnen wissen, was sie vor sich haben, aber Sie kennen nur Playstation und das Internet. Dawei - pardon - dabei ist alles so einfach. Nur wenige Hilfsmittel und Handgriffe genügen; und die Wahrheit liegt vor Ihnen auf dem Tisch. Manchmal reicht der bloße Anblick oder ein schlechter Geschmack auf der Zunge, vielleicht auch eine leichte Hautrötung, ein Beißen in den Augen oder schneidendes Wasser, um Ihnen letzte Gewissheit über die chemische Zusammensetzung eines Stoffes zu geben.

Beginnen wir bei den Laboratoriumsgeräten:
Wir benötigen:
1. ein Siezend - pardon - ein Dutzend Probiergläser z.B. von der letzten Weinprobe,
2. einen Trichter oder eine ruhige Hand (indem Sie die Reste der letzten Weinprobe leeren),
3. Magnesiastäbchen - keine Q-Tipps,
4. drei Bechergläser von irgendeinem Gelage (da bekommt das Wort Becherglas eine gänzlich neue Qualität)
5. drei Erlenmeyerkolben möglichst aus Glas - aus Erlenholz hat sich in der Praxis als wenig haltbar herausgestellt
6. mehrere Uhrengläser (z.B. von Opas Tischuhr),
7. Glaszylinder (Kauftipp bei: IchKaufeEinfachAlles),
8. eine Gasflamme (Bunsenbrenner) - im Notfall erfüllt auch Papas Schneidbrenner oder ein paar Streichhölzer den Zweck
9. sowie buntes Lackmuspapier als Lesezeichen.

Unsere bevorzugten Chemikalien werden sein:
Hinweis: Die im folgenden Abschnitt aufgeführten Chemikalien erhalten Sie bei Opa in der Baukammer. Für den Fall, dass Opa bei dem Frühjahrsspritzen der Vegetation die Stoffe verbraucht hat, schicken Sie einen guten Bekannten von einem guten Freund zu einer guten Drogerie, um diese zu besorgen. Sollten Sie einschlägig bekannt sein, ordern Sie über unterschiedliche Freunde mit unterschiedlichen Bekannten von unterschiedlichen Drogerien unterschiedliche Reagenzien. Planen Sie strategisch und requirieren Sie nur in Palettengebinden. Ihnen bleibt für die nächste Zeit der Beschaffungsaufwand erspart und minimiert letzten Endes Ihre Ausgaben.

Häufig benutzte Säuren:
1. kochende Schwefelsäure  98% H2SO4 Durch sukzessives Beigeben von Wasser ergibt sich im exothermen Prozess schweflige Säure H2SO3, schwefliche Säure H2SO2, schwafliche Säure H2SO, Schwefelwasserstoff  H2S sowie Thioschwefelsäure H2S2O3.
2. rauchende Salpetersäure
3. ein Stück Salzsäure (seinen Sie auf der Hut, denn vielfach führen selbst gute Drogerien nur flüssige Salzsäure)
weniger benutzte Laugen:
4. Natronlauge (in Ausnahmefällen reicht auch Kernseife)
5. Salmiakgeist (anstelle des Erwerbs lässt sich auch Dixiekloatmospäre durch H2O leiten) und letztlich
6. Uran(VI)-fluorid (Achten Sie bei radioaktiven Elementen auf das Verfallsdatum; hier wird häufig gemogelt und das Produkt ist nach kurzer Zeit nur noch halb so viel wert)
Neben diesen Reagenzien bietet Opas Baukammer sicher ein reichhaltiges Sortiment an speziellen Präparaten, die für effektive Überraschungen sorgen, so dass wir diesen Punkt schließen können.

An dieser Stelle unsere Sicherheitshinweise:
Ein häufig getätigter Fehler ist die nicht gestellte Frage nach der Sicherheit. Dabei ist die Frage so einfach:  Ist es sicher?  Ja, es lässt sich sogar noch konkretisieren:
1. Muss ich Zugluft vermeiden ? Ja, denn durch Zugluft können schädliche Gase in die Umwelt gelangen und man Sie dafür be-, aber auch Ihr Labor und Ihre kompletten Aufzeichnungen wirbeln wild im Wind.
2. Muss ich eine Schutzbrille tragen ? Schutzbrillen täuschen in geradezu perfider Weise eine trügerische Sicherheit vor und helfen beim Lösen von Natriumchlorid in Wasser, aber beileibe nicht beim Hantieren mit Nitrozellulose und Pikrinsäure.
3. Muss ich eine Gummischürze umlegen ? Sehen wir von einschlägigen Neigungen einmal ab: nein. Wir arbeiten in einem Labor und schnippeln nicht in der kriminaltechnischen Pathologie.
4. Muss ich ein Testament hinterlegen ? Diese Frage entbehrt jedem ernsthaftem Feingefühl, solange sich ihr Labor nicht im 114. Stock eines amerikanischen Hochhauses  befindet.
5. Muss ich einen Feuerlöscher installieren ? Das kann eventuell sinnvoll sein, vorausgesetzt, Sie sind in der Lage mit wenigen Handgriffen das Gerät aus der Halterung zu befreien, die Bedienungsanleitung zu entziffern und nachzuvollziehen, den gelben Sicherheitsbolzen mit der Plombe zu lösen, den Druckschlauch auf den Brandherd auszurichten, den roten Auslöseknopf zu betätigen und dies in fünf Sekunden während sich dicker Qualm vor Ihre Augen legt und Sie den Hustenanfall zu überwinden versuchen.
6. Muss ich eine Augendusche im Labor anbringen ? Ja, das ist aus versicherungstechnischen Gründen ratsam. Allerdings verlieren Sie Ihr Augenlicht  in jeden Fall, da Sie mit ätzenden Chemikalien im Auge nicht im Stande sind, die Dusche zu finden
7. Muss ich etikettierte Chemikalienflaschen benutzen ? Nein, es genügen auch handelsübliche Seltersflaschen, und Ihre Ahnen, die Alchemisten wären froh, auch nur annähernd Ihre Möglichkeiten zur Verfügung gehabt zu haben. Zollen Sie Ihren Vorreitern Tribut und verwenden Sie Vorhandenes.
8. Muss ich eine Feuerlöschdecke an der Wand befestigen ? Ja, in ausreichender Größe; als Richtlinie sei hier die doppelte Fußbodenfläche gegeben.

Unsere wichtigsten Handgriffe sind:
Das Erwärmen im Probierglas: Beachten Sie, dass sich Stoffe unter Wärmeeinfluss verändern. Schauen Sie von Zeit zu Zeit ins Glas. Sollten Sie kurzsichtig sein, gehen Sie näher heran.
Das Erhitzen auf Porzellanscherben: Halten Sie die Scherbe mit dem festen Stoff in die Flamme. Empfindliche Naturen gebrauchen eine Tiegelzange, da Porzellan die Wärme schlecht leitet, sollte für Sie der Gebrauch der Zange selbst bei hohen Temperaturen kein Thema sein.
Das Feststellen der Flammenfärbung: Glühen Sie bei mittlerer Hitze ein Magnesiastäbchen. Sparsame greifen das Stäbchen mit zwei Fingern in der Mitte und lassen über zwei Flammen beide Enden ausglühen. Tauchen Sie die Enden in frisch geschnittenes Natrium und beobachten Sie die Flammenfärbung. Sie ist ein deutlicher Hinweis.
Das Eindampfen: wird erforderlich, wenn Stoffe in z.B. Alkohol gelöst sind. Erhitzen Sie die alkoholische Lösung. Nichtchemiker halten die Alkohollösung fälschlich für den Gang zur Gaststätte. Sie jedoch warten, bis sich feste Rückstände gebildet haben.
Das Filtrieren: wird immer noch für eine chemischen Umwandlung gehalten. Das ist falsch und dumm. Es handelt sich um einen physikalischen Vorgang und hat hier nichts zu suchen.

Die Untersuchung beginnt:
Ihr guter Freund hat von einem guten Bekannten eine Tüte mit einer weißen Substanz in einem Umschlag ohne Aufschrift und Absender bei Ihnen hinterlegt. Niemand - selbst der BND (Bund Neutraler Denker) und das IID (Institut für Intimforschung und Dumfragerei) - wissen, woraus es besteht. Ist es klumpiges Kochsalz, zerlaufender Zucker, heroisches Heroin, Hexamethylentetramin oder gar gemeines Glaubersalz ? Oder vielleicht etwas ganz anderes ?

a) Die Probenentnahmen:
Da Erosion, Wind und Wetter, Wasser und Luft, Wein, Weib und Gesang am Oberflächengefüge mit dem Zahn der Zeit nagen, legen Sie ein paar dorsale, laterale, ventrale, kraniale und kaudale Schnitte an. Sammeln Sie alle Reste in einem schwarzen, dunklen Behälter unbekannter Herkunft. Der Verschluss sollte fehlen, da sich sonst reichlich gefährliche Gase bilden können.

b) Sparsamkeit vor allem:
Teilen Sie das aufbereitete Material in möglichst gleiche Teile und nummerieren Sie alle Proben. Je kleiner die Proben desto mehr können Sie probieren und schließlich sind gute Chemiker wie Sie in der Lage mit µg großen Mengen zu laborieren, und je weniger Substanz verbraucht wird, desto genauer kalkuliert sich das Ergebnis.

c) Erkenntnisse ohne chemische Versuche:
Neben dem trivialen Erfassen der fünf primären Stoffmerkmale mit Ihren fünf Sinnen, kennt der charismatische Chemiker das Gewicht, die halozinogene Wirkung auf Geist und Gemüt, die dermatologische Hautverfärbung des erhitzten Reagenz, die wilde Oberflächenreaktion der Zunge. Zu Unrecht nimmt in populärwissenschaftlichen Publikationen die Farbe in Ihrer Funktion als Eigenschaft einen zu breiten Raum ein. Das beweist nicht nur die Farbänderung durch farblich differenziertes Beleuchtung, sondern auch die sogenannte Farbblindheit, welche zu katastrophalen Fehleinschätzungen führen. Wie sehr unser Sehsinn mit Mängeln behaftet ist, offenbart die Menge an Brillenträgern, die nicht nur Fehlsichtigkeit, sondern mit blauen und orangenen Brillen Farbdefizite wettzumachen versuchen. Aussagekräftig dagegen tritt der Geschmack auf, der nicht nur bitter, sauer, süß, salzig sondern auch jede Kombination hieraus selbstsicher zu erkennen vermag. Wenig Relevanz kann dem Geruch bzw. dem Gehör zugestanden werden. Kaum ein Stoff singt, spricht, stöhnt oder spielt Flöte. Unser menschlicher Geruchsinn versiegte in den letzten 10000 Jahren durch Umweltbelastung, Allergien und Körpernähe in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dagegen findet unsere Haut erhebliche Möglichkeiten der Stoffdifferenzierung. Bereits das bloße Berühren einer Chemikalie lässt uns die Eigenschaften feucht, nass, schleimig, schmierig, schlüpfrig kategorisieren. Die negative Skala bietet uns hier die Begriffe trocken, rau, staubig, bröselig und kaputt an. Die Hautverfärbung schließlich bringt uns Aufschluss über verschiedene Säuren und ihre Wirkungen.
Tauchen Sie einen ungeschützten Finger in die Flüssigkeit X: Ein gelber Finger deutet auf konzentrierte Salpetersäure hin, ein Roter auf rauchende Salzsäure, ein blauer Finger auf Kupfervitriol, ein Brauner auf warme Schwefelsäure und ein grünes Glied auf Dulux Farbe. Vereinzelt macht sich ein unterschwelliges Ziehen, Jucken oder Brennen bemerkbar; und Sie bitten besser einen guten Bekannten von einem guten Freund um unterwürfige Assistenz. Sollten Sie oder der gute Bekannte von einem guten Freund daran Gefallen gefunden haben und zu einer Kostprobe zur Verfügung stehen oder auch -liegen, werden Sie jetzt zufrieden sein, Ihre Proben klein gehalten zu haben.

d) Organisch oder anorganisch
Nehmen Sie eine Probe eines organischen Stoffes - was sich als nicht einfach herausstellt, da sie noch nicht wissen, ob es sich um eine organische Substanz handelt. Ein brauchbarer Ansatz ist hier, einen guten Bekannten von einem guten Freund um ein gutes Organ zu bitten, das Sie im Tiegel zu erhitzen versuchen. Wird das Organ schwarz unter erheblicher Rauchentwicklung, sollte es sich um eine organische Verbindung handeln. Ein Beispiel für ein anorganisches Präparat könnte Blech sein. Erwärmen Sie vorsichtig eine neue Farbspraydose, bis die Beschriftung verbrannt ist. Benutzen Sie keinesfalls eine alte Dose, da diese noch Farbreste enthält! Erhöhen Sie dann erheblich die Wärmemenge, da Blech wissentlich mehr verträgt und beobachten Sie, dass sie das Metall anorganisch verhält.

e) Löslich oder unlöslich
Nieten aus Eisen sind unlöslich, wo hingegen Kleber in Essigsäureethylester gut gelöst zu werden vermag.
Mehr soll hier zur Lösung nicht verraten werden.

f) Die Reaktion mit Lackmus
Wie der Name bedeutungslos hinwirft, weist Lackmus weder Lack noch Mus nach, sondern zeigt Unterschiede im pH-Wert an. Wir stanzen uns mit einem gewöhnlichen Haushaltslocher zur Untersuchung 25 runde Lackmuskonfetti und bringen sie in die Probe. Ein Konfetti genügt der groben Abschätzung; ein statistisch gesicherte Aussage erfordert jedoch 25 Stück. Das violette Nachweispapier färbt Säuren rot, Basen blau, Chlor weiß und grüne Rinmann Farbe gelb.

g) Anwendung chemischer Nachweismittel
Sicherlich lassen sich chemische Substanzen auch durch andere Reagenzien bestimmen. Z.B. Schwefelsäure unter Zugabe von Wasser, welche munter gegeneinander reagieren, sowie Ammoniak, das sich freudig mit Wasser zu Salmiakgeist vereint. Phosphor nimmt gewissermaßen eine Zwitterstellung ein: es exotherminiert mit sich selbst in Abwesenheit von Petroleum. Der Niederschlag von Eisen auf den guten Fuß eines guten Bekannten Ihres guten Freundes färbt den Fuß blau. Es wäre auch mit Kaliumhexazyanoferrat zu bewerkstelligen, welche zumeist in billiger Trivialliteratur angeführt ist, doch selten vorrätig sein dürfte. 

Alle weiteren Nachweise erweisen sich als schwierig, umständlich und verwirren nur. Beschränken Sie sich auf das Wesentliche.

www.Halbwissen.net Last Version from 06.01.2009